Der Lobster Award

Zu einer Nominierung gehört ja mindestens dreierlei, an dem sich ablesen lässt, ob man sich geehrt oder beschämt fühlen soll: der Nominierende, die Sache, für die man nominiert wurde und die Gesellschaft der anderen Nominierten, in die man sich begibt, wenn man folgt. Wenn nun also Felix Bartels einen putzigen Fragenkatalog unter dem Deckmantel des Lobster Awards (ehemals Liebster Award) in meine Richtung schickt, weil er zuvor nominiert wurde, ist es meine Pflicht und Freude, so ziemlich alles stehen- und liegenzulassen und zu antworten.

1. Was sind die Zutaten eines schönen Abends?

Es kann ja nun niemand behaupten, daß ihm nur ein Gericht schmeckte, und so, wie verschiedene Mahlzeiten unterschiedliche Zutaten erfordern, tun es auch verschiedene Abende. Eine denkbare Kombination wäre: leichter Alkohol, dusselige Freunde und ein guter Film, der in acht von zehn Fällen „Midnight Run“ heißt, manchmal aber auch anders. Der Film darf auch durch Gespräche ersetzt werden, man kann dann zum Beispiel die Probleme der Welt lösen, sich gegenseitig die längst bekannte Gesinnung streicheln und anschließend seufzen, daß man nicht am Hebel sitzt. Wer mich aber kennt, weiß, daß ich auch noch sinnloseren Tätigkeiten nicht abgeneigt bin. Es dürfen Tee und Spiele involviert sein. Oder man streicht alles bis auf den Alkohol, steigert dessen Maß dann dafür aber in Höhen, die nicht nur Hippokrates mit vollem Recht als „giftig“ bezeichnet hätte.

Oh, und Sex. Sex geht immer.

2. Das schönste Stück Lyrik, das du je gesehen, bitte: (nicht zitieren, nur Autor, Titel)

Eigene Lyrik ausgenommen? Ich habe eine Vorliebe für Heine und, wie nicht wenige wissen, Hacks. Von ersterem wäre es vielleicht „Mein Herz, mein Herz ist traurig“, von letzterem „Englische Eröffnung“ – ich stehe nun einmal auf Gedichte mit einer unvermittelten, knackig am Schluss eingeworfenen Pointe.

That being said: Ich würde mir die linke Hand abschneiden, wenn ich dafür Marco Tschirpkes „Atlantis“ hätte schreiben können.

3, Sind ästhetische Werturteile objektivierbar?

Sie sind es nicht nicht. Ich habe seit jeher ein Problem mit der Auffassung, der einzige Unterschied zwischen Mozart, Michael Jackson und Modern Talking sei ein subjektives und also ein Geschmacksurteil. Es gibt Unterschiede, in Gattung und Machart, und über diese kann man reden. Und wenn meine Erfahrung mich nicht im Stich lässt, so führt reden zu denken und denken immer auch zu Urteilen. Den Gemeinplatz, daß reine Objektivität nicht erreicht werden könne, einmal außen vorgelassen, sage ich: Sie sind objektivierbar. Daß sie niemals ungefärbt und vollkommen objektiv sein werden, ist eine lausige Ausrede dafür, den eigenen Kopf nicht zu benutzen.

4. Kann man sich je freimachen von Ideologie?

Das kommt wohl auch darauf an, wer „man“ ist. Ganz generell gilt auch hier wieder: Reinheitskomplexe stehen der Wirklichkeit entgegen. Wir bewältigen ja nun nicht unser Leben und häufen Erfahrungen und Ansichten an, um sie anschließend komplett wieder ablegen zu können. Interessanter wäre doch die Frage, wie weit man sich von Ideologie freimachen kann, was an ihre Stelle träte und ob dieser Vorgang immer wünschenswert ist.

Also komplett: Nein, wohl nicht, jedenfalls kenne ich kein Beispiel. Doch ich kenne Beispiele für Leute, die ihre Ideologie auf ein Mindestmaß zurückschraubten und mit der neu entstandenen Distanz zum sujet du jour Erstaunliches vollbrachten. Davor habe ich Respekt.

5. Hast Du ein Lebensthema? Wenn ja, welches?

Schwer. Normalerweise wäre es das übliche, das Hinterlassen von Fußspuren, einen Unterschied machen, derlei. Da es damit in der Praxis gerade etwas hapert, wäre es momentan: Sieh zu, daß die Welt durch Dich nicht zu einem schlechteren Ort wird, als sie sein kann.

6. Blitzantwort: Kant oder Hegel? Mozart oder Stockhausen? Kochen oder essen?

Hegel, Mozart, essen. Letzteres, weil ich nicht kochen kann, sonst anders.

7. Ein Blick in Brechts Lehrstücke: Angenommen einer könnte, indem er sich opfert, das Überleben einer Gemeinschaft retten – sollte er es tun? (Mr. Spock sagt: ja)

Ich sage es wie Spock: The needs of the many outweigh the needs of the few.

8. Abgesehen von Günter Grass: Welcher Dichter der Gegenwart (20./21. Jh.) ist am abstoßendsten?

Durs Grünbein.

9. Die drei besten Kinofilme aller Zeiten sind:

Léon der Profi, Hero und Ghostbusters. Bonus: Die Nacht der reitenden Leichen.

10. Gehört der Tod abgeschafft?

Nah.

11. Worauf kömmt es an: die Welt zu interpretieren oder sie zu verändern?

Die alte Frage nach Idealismus und Materialismus, nach der Wechselwirkung zwischen Idee und Wirklichkeit, kommt selten in seltsamerer Verkleidung daher denn als Frage in einer Blog-Nominierung. Den von FB oft wiederholten Spaß „es kommt aber darauf an, sie zu interpretieren“ ebenso ausgelassen wie die krakeelenden Jugendlichen, deren blinder Aktivismus sich in Raufereien auf dem Mariannenplatz oder Pamphleten in der Fußgängerzone entlädt: Die Vorstellung, man könne die Welt interpretieren oder verändern, ohne auch jeweils das andere zu tun, erscheint mir kurzsichtig. Wenn handeln nicht die Entladung einer Idee sein soll oder die Interpretation das Resultat einer aus Handlungen erzeugten Wirklichkeit, dann weiß ich nicht, was sie jeweils sein sollen. Warum sie als antagonistisches Paar darstellen, das sie nicht sind?

Meine Antwort auf die Frage lautet also: Ja.

 

Ich befinde mich nun in der schwierigen Lage, weitere Leute nominieren zu sollen. Streicht das: Es ist eine unmögliche Lage, denn ich kenne keine Blogger oder sonstwie geeignete Kandidaten. Das, und ich weiß über meine Freunde das, was ich wissen muss, weitere Fragen wären unhöflich oder ergeben sich beim Bettgeflüster. Glücklicherweise endet die Kette ja nicht bei mir, also kann ich beruhigt masturbieren gehen.

Sollte jemand doch Vorschläge haben, dann möge er sie sagen oder die Betroffenen gleich selbst nominieren.

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